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Corrigir

Willkommen An Bord!

Reinhard Mey

Ich stolper schweißgebadet in die Abflughalle
Mein Flug ist aufgerufen und da steh'n sie auch schon alle
Onkel Robert feiert heut seine Beerdigung
Und da komm' ich halt mal rüber auf einen Sprung
Natürlich nicht zu Lande, wie im Mittelalter:
Ich hab' ein Ticket, und da vorne blinkt mein Abflugschalter
'Ne Frau mit Pelz und Yorkshire-Terrier drängelt sich vor
Ich krieg' 'nen Kofferkarr'n ans Schienbein, jemand niest mir ins Ohr
Und so stehe ich geduldig und so steh' ich ziemlich lange
Jetzt bin ich dran, nur leider steh' ich in der falschen Schlange
Ich steh in A und muss nach C, noch mal die wilde Hatz
Ich geb' den Koffer auf und kriege einen Fensterplatz
Zur Kontrolle: Vor und hinter mir nur Aktenkofferträger
Ich geb's zu, dazwischen seh' ich aus wie'n echter Bombenleger
So werd' ich dementsprechend abgegrabbelt und gefilzt
Ist schon o.k., du musst halt leiden wollen, wenn du fliegen willst
Eine Engelsstimme aus dem Wartesaallautsprecher flötet
Dass der Abflug sich um eine knappe Stunde verspätet
Schließlich pfercht man uns ins Flugzeug, durch den engen, düst'ren Schlauch
Ich spür' 'nen Ellbogen im Nacken und 'nen Laptop im Bauch

Willkommen an Bord, Käpt'n Hansen freut sich jeck!
Willkommen an Bord! Bitte nur ein Handgepäck!
Willkommen an Bord! Kleiner Sicherheitscheck!
Willkommen bei der Airline mit der Gabel am Heck!

Auf meinem Fensterplatz sitzt ein Koloss: „Verzeih'n Sie, ach bitte!“
Ich mach' halt keinen Aufstand und ich setz' mich in die Mitte
Ich hangle mich über den Herrn im Sitz am Gang
Er riecht ein bisschen ungewöhnlich und ist ungewöhnlich lang
Unverzüglich bringt er seine Zeitung zur Entfaltung
Ich begebe mich zwangsläufig in Embryohaltung
Die Stewardess heißt Silke und ist blond und adrett
Und beginnt vorne im Gang mit ihrem Sicherheitsballett:
„Unser Flugzeug hat sechs wunderschöne Notausgänge
Und bei Druckverlust fall'n viele kleine Masken in die Menge
Keine Pfeifen und Zigarr'n, nicht im WC und nicht im Gang
Anschnall'n, Tischchen hoch und Lehne senkrecht, vielen Dank!“
Der Koloss puhlt sich Speisereste aus seinen Zahnlücken
Mein Hintermann bohrt mir zwei spitze Knie in den Rücken
Mein rechter Nachbar blättert um und während ich mich bück'
Um auszuweichen, klappt mein Vordermann die Sitzlehne zurück
Der Flug ist turbulent und ich erwäge, mich zu rächen
Und mich mal kurz nach vorne über die Lehne zu erbrechen
Ich heb' mir das noch etwas auf, nachher vielleicht
Denn jetzt kommt Silke und es wird ein kleiner Imbiss gereicht

Willkommen an Bord, Käpt'n Hansen freut sich jeck!
Willkommen an Bord! Bitte sehr, ein kleiner Snack!
Willkommen an Bord! Und ein Plastikgedeck!
Willkommen bei der Airline mit der Gabel am Heck!

Es gibt Folienbrot und Schinken mit unreifer Melone
Dazu ein Döschen Wasser mit 'nem Scheibchen Zitrone
Der „Lange“ hat ein Funktelefon und als alles isst
Telefoniert er laut, damit man sieht, wie wichtig er ist
Jetzt hat er sich die Antenne ins Ohr gestochen
Mein Vordermann hat sich über sich selbst erbrochen
„Darf's ein Täßchen Kaffee oder ein Erfrischungstüchlein sein?“
Die Stewardess teilt alles aus und sammelt alles wieder ein
Käpt'n Hansen macht 'ne Durchsage, ich hab' kein Wort verstanden
Nur, dass wir wegen Nebel heut mal ganz woanders landen
Ich würd'gern mal aufs Klo gehn, aber grade jetzt
Gehn die Anschnallzeichen an und die Toiletten sind besetzt
Um die Zeit ist Onkel Robert sicher längst unter der Erde
Sieht nicht so aus, als ob ich noch pünktlich zur Party kommen werde
Nichts stimmt auf diesem Flug, Argwohn durchfährt mich wie ein Blitz:
Wahrscheinlich gibt's auch gar keine Schwimmweste unter meinem Sitz!
Doch Käpt'n Hansen ist inzwischen unerschrocken gelandet
Am Gepäckband wird mir klar: Ich bin zu Hause gestrandet!
Ich stand heut früh doch schon mal hier, genau an diesem Fleck
Es gibt nur einen Unterschied: Jetzt ist mein Koffer weg!

Willkommen an Bord, Käpt'n Hansen freut sich jeck!
Willkommen an Bord! Ein Tomatensaftfleck
Willkommen an Bord! Und wo ist nun mein Gepäck?
Willkommen bei der Airline mit der Gabel am Heck!

Da fällt mir ein Werbeslogan ein, ein ganz obszöner
Wie ging der doch nur gleich? Ach ja, „Nur Fliegen ist schöner“!
Doch allmählich stellt sich bei mir die Erkenntnis ein:
Nur zu Hause bleiben kann noch schöner sein!

Willkommen an Bord, Käpt'n Hansen freut sich jeck!
Willkommen an Bord! Plastikbecher ist leck!
Willkommen an Bord! Noch ein wenig Salzgebäck?
Willkommen bei der Airline mit der Gabel am Heck!

Willkommen an Bord, Käpt'n Hansen freut sich jeck!
Willkommen an Bord! Im Nadelstreifentreck!
Willkommen an Bord! Einen Schnaps auf den Schreck
Willkommen bei der Airline mit der Gabel am Heck!






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