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Corrigir

Grenze

Reinhard Mey

Der fremde Mann aus dem Osten gab
Mir diesen fingerlangen Gewindestab
Aus grau beschlag‘nem Chrom-Nickelstahl.
„Dieser Bolzen hier“, sagte er, „war einmal
Verschraubung an dem Zaun aus Streckmetall,
Der hinter der Grenze fast überall
Als letzte unnehmbare Hürde galt.
Und den Bolzen, den löst du nicht mit Gewalt
Und auch nicht mit Geduld und auch nicht mit List,
Weil er, einmal verschraubt, nicht zu lösen ist.
Ich gebe ihn dir, sieh ihn dir gut an –
Es kleben Tränen und Blut daran.“

Mit diesen Worten ließ er mich stehn.
Ungläubig begann ich daran zu drehn,
Und langsam wurd‘ es mir unheimlich.
Die Muttern an den Enden drehten sich,
Doch sie drehten ins Leere oder drehten mit,
Das Gewinde faßte einfach keinen Tritt.
Und ich zog und ich drückte, versuchte ‘s nochmal,
Dieser Bolzen war einfach teuflisch genial!
Ich begriff: Diesen Stab mit den Rundkappen drauf
Kriegt kein Schraubenschlüssel der Welt wieder auf.
Ich hielt ihn in der Hand zur Faust geballt
Und bei dem Gedanken überlief es mich kalt:

Wie manche Flucht dran gescheitert sein mag,
Wo die Freiheit schon zum Greifen nahe lag,
Wo das Sperrgebiet schon überwunden war
Und Signalzaun und Todesstreifen sogar,
Die Patrouille vorbei, sie war‘n immer zu zweit,
Und die Wache im Turm in der Dunkelheit,
Die Maschinenpistole in Anschlag gebracht
Und ihre Ferngläser durchforschen die Nacht.
Da blitzen Scheinwerfer auf, plötzlich ist alles taghell
Und Rufe und Schüsse und Hundegebell:
Hinter Sperrgraben, Minen, Stacheldrahtverhau‘n,
Im Lichtkegel gestrandet am letzten Zaun!
Und ich fragte mich, hinter welcher Stirn,
In welchem bösen, kranken Hirn
Wohl dies teuflische Patent entstand.
Und wer gab den Auftrag, daß man es erfand?
Wer hat es gezeichnet, und wer war der Schmied?
Wer war in der Kette das letzte Glied?
Wer hat es geprüft und wer hat es verschraubt,
Hat er sich drum geschämt, hat er daran geglaubt?
War es Menschenverachtung ohne Hehl?
Und wer hat still gehorcht und wer gab den Befehl?
Wie auch immer die Antwort sein mag, mir war klar,
Daß es wieder ein Meister aus Deutschland war.

Composição: Reinhard Mey





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