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Corrigir

Der Kleine Wiesel

Reinhard Mey

Es geht ein Wispern und Raunen durch den grünen Farn
Gespräche brechen ab, und Gesten erstarr'n
Zu ängstlichem Verharren, in gespanntem Lauern
Im Unterholz, im Blattwerk und im dunklen Tann
Halten sie alle im Wald verstört den Atem an
Und die Nachricht lässt sie eng zusammenkauern:
Auf der Lichtung bei der Buche im hohlen Stamm
Haben sie – sagt man – ein Taschentuch mit Monogramm
Und ein Spielzeug unterm welken Laub gefunden
Und hinterm Ginsterbusch am Tümpel, ganz von Tau durchnässt
Seine kleine, rote Mütze, und jetzt steht es fest:
Der kleine Wiesel, der kleine Wiesel ist verschwunden!

Heute morgen haben sie ihn alle noch geseh'n
Im Wald hier kann ihm ja auch wirklich nichts gescheh'n
Wo jeder jedem hilft, alle einander kennen
Die Mutter war doch eben nur ganz kurz ums Eck
Und gleich zurück, da war der kleinr Wiesel weg
Und jeder weiss, der kleine Wiesel, der kann rennen!
Aber jetzt ist schon längst Mittag, jetzt ist Essenszeit
Und der kleine Wiesel nicht zu sehen weit und breit
Die Eltern und Geschwister rufen ihn jetzt schon seit Stunden
Wo steckt er nur, was hat er wieder angestellt?
Wenn ein Kind nicht heimkommt, kentert die ganze Welt!
Der kleine Wiesel ist verschwunden!

Das vorwitzigste Kerlchen im ganzen Revier
So ein übermüt'ges, abenteuerlust'ges Tier
Mit seiner spitzen Nase und den Hamsterbacken!
Wie oft haben die Eltern es „Sag nein!“ ermahnt
„Geh nicht mit Fremden mit!“, als hätten sie's geahnt
Er ist so zutraulich und hat doch nur den Schalk im Nacken!
Die Eltern bitten, und die Eltern fleh'n:
„Bitte lasst den kleinen Wiesel nach Hause geh'n!“
Noch immer hat man keine neue Spur gefunden
Die Mutter wie erloschen, wie von Tränen blind
Der Vater wie von Sinnen vor Angst um das Kind
Der kleine Wiesel, der kleine Wiesel ist verschwunden!

Der Fuchs sagt: „Jeder weiss, dass all das Mahnen wenig nützt
Dass Vorsicht ganz allein uns're Kinder nicht schützt
Wie soll'n sie sich denn von der Gefahr fernhalten?
Kinder erkennen manche Gefahren ganz einfach nicht
Ja, ist es denn dann nicht unsere verdammte Pflicht
Die Gefahr für uns're Kinder auszuschalten?“
Der Prediger sagt: „Wer ein einz'ges der Kleinen fängt
Für den wäre es besser, er würde versenkt
Mit einem Eselsmühlstein auf dem Meeresgrunde!“
Der Richter sagt: „In welchem Erdloch er sich auch verbirgt
Sein Recht auf Freiheit ist für alle Zeit verwirkt!“

Das Unfassbare ist in diesem Wald gescheh'n
Nichts ist, wie's war. Wie soll das Leben weitergeh'n?
Nur einer fehlt, doch dieser eine fehlt uns allen
Und keins der Tiere ruht, und keins der Tiere frisst
So lange, wie der kleine Wiesel nicht zu Hause ist
Die Gemeinschaft, die die Brut nicht schützt, die muss zerfallen!
Der Abend kommt, und er ist immer noch vermisst
Wehe, wenn dem kleinen Wiesel was geschehen ist!
Da ist ein heil'ger Zorn, ein Drohen und ein Fluchen
Die Hölle öffnet ihren Feuerschlund, die Erde bebt –
Wehe dem, der die Hand gegen ein Kind erhebt!
Morgen bei Tagesanbruch wird man weitersuchen . . .






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